Predigt
Liebe Gemeinde,
Alles könnte so schön sein. Aber es ist anders.
Auf uns warten nicht die fröhlichen, unbeschwerten Tage, wie es sein sollte - Feiern, Ferien und Urlaub, sondern wiedermal: Nichts. Einsamkeit, Streit, Traurigkeit und Angst.
Dieses "Zwischen-den-Stühlen-sitzen" - das sind die Gefühle des Psalmsonntags.
So war es auch am Palmsonntag in Jerusalem. Jesus wurde jubelnd empfangen, aber mit dem umjubelten Einzug in Jerusalem beginnt die Karwoche.
Diese beiden widerstrebenden Gefühle sind typisch für unseren Glauben in dieser Welt.
Wir stehen ja gewissermaßen mit einem Bein im Himmel und mit dem anderen auf der Erde. Über den Dingen und doch mittendrin. Wie Jesus und wie die vielen, die mit Gott ernst gemacht haben in ihrem Leben, von Abraham bis heute.
Im Predigttext aus dem Hebräerbrief klingt das so:
Darum auch wir:
Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben,
lasst uns ablegen alles, was uns beschwert,
und die Sünde, die uns ständig umstrickt,
und lasst uns laufen mit Geduld den Kampf, der uns bestimmt ist,
und aufsehen zu Jesus,
dem Anfänger und Vollender des Glaubens,
der, obwohl er hätte Freude haben können,
das Kreuz erduldete und die Schande geringachtete
und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
(Hebräer 12,1-3)
Hier heißt Jesus der "Anfänger und Vollender" des Glaubens. Er hat als Gottes Sohn auf dieser Erde gelebt, mit seinem Leben seinen Glauben bezeugt. Wir sehen Jesus - und wir begreifen etwas über uns und über Gott.
Ich stelle mir vor, wie das war, als Jesus auf einem Esel in die Hauptstadt hinein ritt. Wie ein König, aber nicht auf dem hohen Ross. Er blickte nicht stolz über die Leute hinweg, sondern sah ihnen in die Augen,
Was las er in ihren Gesichtern, was hörte er für Wortfetzen, als sein Esel langsam den staubigen Weg entlangging? Er sah Jubel und Verzweiflung. Er sah Blicke, die fragten: Wie lange noch? Wann werden wir endlich frei sein?
Er sah die allgemeine Situation, und er sah die Nöte der Einzelnen. Die Menschen auf der Straße hatten das Gefühl: Dieser Mann versteht uns, für ihn sind wir wichtig.
Nach Palmsonntag wurde es einsamer um den Mann aus Nazareth. Aber da waren Menschen, die seinen Weg begleiteten. Sie erlebten mit, wie Jesus zu Ende brachte - vollendete - , was er angefangen hatte.
Die Passionsgeschichte, das sind Erzählungen von großen Worten und großer Angst. Es ist leicht, sich mit diesen Menschen zu identifizieren. Vielleicht würden wir an ihrer Stelle genauso handeln.
Da war zum Beispiel die Frau in Bethanien, die ihre Angst überwand, mitten in die Männerrunde trat
und Jesus salbte. Sie drückte so aus, was die anderen nicht wahr haben wollten: Jesus würde sterben. Er war zu gefährlich geworden, weil er Recht hatte. Die Mächtigen hassten ihn, weil er sie nicht respektierte. Sie merkten genau: Er ist Gott näher, er
kann den Menschen mehr geben. Sie wussten keine Abhilfe, außer den Störenfried für immer zum Schweigen zu bringen. Wie sie dachten.
Zu den Menschen, die Jesus auf seinem Weg begleiteten, gehörten auch die Jünger, die eingeschlafen sind, als Jesus sie gebraucht hätte.
Da ist von Petrus die Rede, der aus Angst sagte, dass er Jesus nie gekannt habe, obwohl er sich vorher mit seiner Treue gebrüstet hatte.
Sie alle haben es wohl nicht verstanden, warum Jesu Weg gerade so weiter ging. Wie konnte es angehen, dass dieser Mann -- Gottes Sohn! -- von den Mächtigen dieser Welt erniedrigt und getötet wird?
Jesus war der Vollender des Glaubens. Er lwar Gott in menschlicher Gestalt. In seinen Worten war Gott zu hören, in seinen Taten handelte Gott. Er kriegte den Hass derer zu spüren, die am liebsten selber wären wie Gott. Jesus zeigte schließlich am eigenen Leib, dass Gott das Leiden aushält, dass Gott am Ende stärker selbst als der Tod ist.
In der Passionsgeschichte begegnen viele Menschen mit ihren Sehnsüchten, ihrem guten Willen, ihrem Scheitern und ihren Hoffnungen.
Viele haben gedacht: Mit Jesus würde alles besser werden, sofort - alles vorbei, was das Leben schwer macht.
Auf gewisse Weise ist unsere Situation heute ganz ähnlich.
Seit einem Jahr leben wir mit dem inzwischen nicht mehr so neuartigen Virus. Im Sommer meinten wir zu wissen, wie es geht: mit den bekannten Regeln konnten wir es im Schach halten, und das Leben fühlte sich fast wieder gut an.
Aber das gab sich wieder. Jetzt ist alles wieder richtig schlimm.
Es bleibt die berechtigte Hoffnung, dass wir gerade ein Ende mit Schrecken erleben, aber ganz sicher kann man eben doch nicht sein.
Die Welt ist nicht heil. Jetzt kriegen wir es besonders zu spüren, aber auch sonst ist ja so. Wir wissen, was im Argen liegt und können oder wollen nichts tun.
Mitten in diese Welt kommt Jesus mit seiner Botschaft. Er reitet auf einem Esel, sitzt nicht auf dem hohen Ross. Gott ist mittendrin.
Er hält das aus:
Die ungewisse Zukunft.
Menschen, die das Beste wollen, aber immer wieder scheitern.
Leiden und Sterben.
Jesus zeigt, wie es geht: Glauben trotz allem.
Darum auch wir:
Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben,
lasst uns ablegen alles, was uns beschwert,
und die Sünde, die uns ständig umstrickt,
und lasst uns laufen mit Geduld den Kampf, der uns bestimmt ist,
und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens,
der, obwohl er hätte Freude haben können,
das Kreuz erduldete und die Schande geringachtete
und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
Amen.